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Korsett oder Katalysator ?
Gedanken zur Rolle des Rechts im Sport

 
Debattenbeitrag in der Stuttgarter Zeitung:
Plädoyer für eine Neujustierung des Sportrechts

 
Nach dem Zwischenurteil des OLG München -
Interview zur causa Pechstein im Deutschlandfunk

 


Korsett oder Katalysator ? - Gedanken zur Rolle des Rechts im Sport


Herbert Fischer-Solms im "Sportgespräch" mit den Stuttgarter Rechtsanwälten Marius Breucker und Christoph Wüterich

Athleten klagen sich vor Schiedsgerichten zu den Olympischen Spielen, fordern Schadensersatz für Dopingsperren oder stellen die Athletenvereinbarungen in Frage - Gerichtsverfahren spielen im Sport nicht mehr nur eine Nebenrolle. Schwerpunktstaatsanwaltschaften ermitteln wegen Dopings, "Kronzeugen" beichten gegenüber Anti-Doping-Organisationen, selbst über Rote Karten wird mit anwaltlicher Hilfe prozessiert. Nehmen Juristen dem Sport seine Unbeschwertheit? Geht die schönste Nebensache der Welt im Dschungel der Paragraphen verloren?

Über die gewachsene juristische Bandbreite des Sports diskutierte Herbert Fischer-Solms mit den Rechtsanwälten Dr. Marius Breucker und Dr. Christoph Wüterich aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Die Beiträge basieren auf redigierten Auszügen des "Sportgesprächs" im Deutschlandfunk vom 11. Dezember 2011 unter dem Titel "Zwischen Markenrecht, Persönlichkeitsrecht und Anti-Doping-Gesetz - Die juristische Bandbreite des Sports".



Herbert Fischer-Solms: "Sportrechtler die wahren Beweger im Sport?"


Herbert Fischer-Solms: Herr Wüterich, Sportrechtler, das sind doch die wahren Beweger im modernen Sport, oder wollen Sie da widersprechen?

Christoph Wüterich: In der Tat gewinnt das Recht größere Bedeutung im Sport: Zunehmend werden auch Fragen des Sports unter rechtlichen Aspekten betrachtet. Der Sport greift nach dem Recht, weil es ein geeigneter Konfliktlösungsmechanismus ist. Die Zeiten, in denen es nur um Spielregeln ging, die man nicht justizförmig behandelte, sind unwiederbringlich vorbei. Deswegen gewinnt der Sportrechtler eine gewisse Bedeutung; aber er ist nicht derjenige, der alles bewegt.

Herbert Fischer-Solms: Herr Breucker, zu den Juristen im Sport: An den großen, wichtigen und spektakulären Entscheidungen im heutigen Sport sind Juristen beteiligt.

Marius Breucker: Ja, das ist bei Rechtsentscheidungen, so denke ich, auch sinnvoll, wenn dort Juristen beteiligt sind. Natürlich sollte es nicht so sein, dass der Sport, wie es mit kritischem Unterton heißt, "verrechtlicht" wird. Die Juristen sollten sich nicht des Sports "bemächtigen", als einer neuen Spielwiese, auf der sie sich austoben. Aber so ist es auch nicht: In Wahrheit bewegt sich der Sport mit fortschreitender Professionalisierung und Kommerzialisierung in das Recht hinein. Das ist eine Konsequenz aus den zunehmend professionellen Strukturen in den Verbänden und Vereinen. Wenn etwas professionell betrieben wird - das gilt für alle Lebensbereiche - braucht es auch Mechanismen für einen Interessenausgleich und effektive Verfahren zur Streitbeilegung. Das Recht stellt beides zur Verfügung.

Herbert Fischer-Solms: Gibt es noch andere Gründe für diese Entwicklung, zum Beispiel die gewachsene wirtschaftliche Bedeutung des Sports - es geht um immer mehr Geld - oder das gewachsene Selbstbewusstsein der Verbände oder der Athleten?

Marius Breucker: In der zunehmenden Bedeutung des Rechts spiegelt sich die gewachsene Rolle des Sports in der Gesellschaft wider. Und mit der wirtschaftlichen Bedeutung wächst auch das Selbstvertrauen der Beteiligten.

Herbert Fischer-Solms: Ein spektakulärer Fall: Der Leichtathlet Charles Friedek klagte auf Schadensersatz, weil er nicht nominiert worden war für die Olympischen Spiele in Peking, Herr Wüterich.

Christoph Wüterich: Da werden die Zusammenhänge deutlich: Eine Nichtnominierung bedeutet für den Athleten erhebliche wirtschaftliche Einbußen. Der Athlet sagt, die Nominierungsrichtlinien seien nicht ordnungsgemäß angewendet worden. Es gibt zu dieser Frage divergierende Gerichtsentscheidungen. Jetzt sagt der Athlet, wenn diese Entscheidung rechtswidrig war, dann muss der Verantwortliche die sich daraus ergebenden ökonomischen Folgen tragen. Das ist paradigmatisch: Der Sport greift nach dem Recht, er hat das Recht als Konfliktlösungsmittel entdeckt. Und in der Tat: Wenn dem Athleten 100.000 Euro fehlen, warum soll das an ihm hängen bleiben, wenn er nicht richtig behandelt wurde?

Herbert Fischer-Solms: In der Vergangenheit haben die Athleten das meistens klaglos hingenommen. Die Nominierungshoheit für Olympische Spiele liegt beim Olympischen Komitee, in Deutschland also beim Deutschen Olympischen Sportbund, und man hat sich dem unterworfen. Diese Zeiten sind offenbar vorbei.

Marius Breucker: Es sind weiterhin Einzelfälle, in denen Athleten vor Gericht ziehen, wenn sie nicht nominiert werden. In diesem Fall rief der Athlet das Deutsche Sportschiedsgericht an. Es war der erste Fall seit Gründung des Sportschiedsgerichts Anfang 2008. Der Impuls zur Gründung dieses Schiedsgericht kam aus dem Sport heraus. Es hat im konkreten Fall rasch und effektiv im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und später auch im Hauptsacheverfahren entschieden. Der Streit wurde dann weitergetragen zu den staatlichen Gerichten. Es ist legitim, wenn ein Athlet eine umstrittene Frage, die für ihn mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden war, juristisch klären lässt. Ob es immer opportun ist, ob man das immer für klug hält, ist eine andere Frage. Unter dem Strich ist es aber, so denke ich, eine normale Entwicklung, dass Fragen von wirtschaftlich großer Bedeutung justiziabel geklärt werden, auch wenn sie ihren Ursprung im Sport haben.

Herbert Fischer-Solms: Der Dopingfall Claudia Pechstein ist seit 2009 aktuell. Sie hatten für die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft das Mandat. Herr Breucker, kann man sagen, dass es einen solchen Rechtsstreit im deutschen und im internationalen Sport noch nie gegeben hat?

Marius Breucker: Soweit ersichtlich war es der erste Fall, in dem ein internationaler Athlet auf Grundlage nur eines indirekten Beweises angeklagt und dann wegen Dopings verurteilt und für zwei Jahre gesperrt wurde.

Herbert Fischer-Solms: Claudia Pechstein verweist darauf, dass sie nach ihrer Sperre und bis heute dieselben Werte habe, wie 2009, als sie gesperrt wurde. Gleichwohl wurde sie später nicht mehr gesperrt. Der internationale Verband, die ISU, sagt, sie habe ihre Regeln geändert. Wie sieht das der Jurist?

Marius Breucker: Der entscheidende Faktor dieses Falles war und ist die Frage, ob die Blutwerte der Athletin den Schluss zulassen, dass sie nur durch Doping hervorgerufen werden können. Das ist eine Frage, die uns in wissenschaftliche medizinische und biochemische Sphären führt. Im Kern ist es aber keine juristische, sondern eine tatsächliche Frage: Entweder die Werte lassen den Rückschluss auf Doping zu oder eben nicht. An dieser tatsächlichen Frage kann die Änderung eines Regelwerkes oder eines Blutpassprogrammes letztlich nichts ändern. Dort werden nur Kriterien formuliert, die bei der Entscheidungsfindung helfen sollen. In der Sache selber kann aber 2009 nichts anderes gegolten haben als heute: Entweder der Schluss auf Doping ist bei objektiver Betrachtung zwingend oder nicht.

Herbert Fischer-Solms: Es stellen sich viele Fragen. Wir können das an dieser Stelle nicht unbegrenzt untersuchen, aber vielleicht doch noch eine Frage an Marius Breucker: Könnte es sein, dass Claudia Pechstein Recht bekommt, dass also ihre Werte 2009 genauso beurteilt werden müssen wie die jetzigen?

Marius Breucker: Man muss zwei Ebenen unterscheiden: Das sportrechtliche Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Es gibt juristisch keine Möglichkeit mehr, das Schiedsverfahren als solches nochmals aufzurollen. Das ist für die Athletin sicherlich schwer zu akzeptieren, aber juristisch eindeutig: Der Fall ist abgeschlossen - Roma locuta, causa finita. Von der Frage der Rechtskraft des Schiedsspruchs zu unterscheiden ist aber die tatsächliche Frage: 2009 erhob die ISU eine Anklage und es kam zu einer Verurteilung; später gab es vergleichbare Werte, die jedenfalls bislang offenbar nicht zu dem Schluss geführt haben, eine Anklage zu erheben oder die Athletin verurteilen zu können. Insofern ist die Tatsachenfrage, ob die Werte den Rückschluss auf Doping zulassen oder nicht, nach wie vor offen und stellt sich vielleicht mehr denn je. Das Schiedsverfahren selbst ist rechtlich abgeschlossen. Nicht ausgeschlossen sind etwaige Schadensersatzansprüche der Athletin, wenn sich herausstellen sollte, dass die Sperre zu Unrecht erfolgte und der Schiedsspruch unwirksam war oder in Deutschland nicht anzuerkennen ist.

Herbert Fischer-Solms: Claudia Pechstein hatte vor längerem angekündigt, sie wolle mit ihrem Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen. Sie hat darauf verzichtet. Aber wir wissen, dass dort schon einige Verfahren mit Sportlern anhängig sind. Ein Beweis für das neue Selbstbewusstsein der Athleten?

Christoph Wüterich: Ich weiß nicht, ob es dabei um das Selbstbewusstsein der Athleten geht. Es gibt einige Themen, bei denen mögliche Rechtsverletzungen greifbar sind. Das kann man auch als engagierter Kämpfer gegen Doping nicht in Abrede stellen - und das ist für den Außenstehenden das Interessante auch am Fall Pechstein. Nehmen wir die Meldepflichten: Die erreichen mittlerweile eine grenzwertige Dichte. Es ist für einen unbefangenen Betrachter erkennbar, dass es so nicht weitergehen kann. Wenn die Verweildauern der Substanzen im Körper noch kürzer werden - was sollen wir dann noch prüfen? Wie dicht wollen wir das Netz noch weben? Daraus folgt, dass uns der mittelbare Beweis weiterhelfen muss, also der Rückschluss von der Situation im Körper auf die Tatsache eines Dopingverstoßes. Daran muss man arbeiten. Im Fall Pechstein war man noch in einer ganz frühen Phase und das sieht man dem Fall auch an. Kurz nach der Entscheidung traten detaillierte Richtlinien der WADA zum Blutpass in Kraft, die anderes gezeigt haben. Wir kennen das auch auf anderen Feldern des Rechts, zum Beispiel bei der Vaterschaftsfeststellung: Auch ein Rechtsstaat muss eine bestimmte Anzahl von Fehlentscheidungen hinnehmen. Das ist so. Nicht alle Urteile sind sachlich richtig. Der Rechtsstaat muss sich darum kümmern, die Zahl der Fehlentscheidungen so gering wie möglich zu halten. Daraus folgt für den mittelbaren Beweis: Man muss Methoden finden, die zwingende Schlussfolgerungen ermöglichen. Bei einer Vaterschaftsfeststellung haben wir zum Beispiel eine Anforderung an die Wahrscheinlichkeit von 99,98 %. Zwei von zehntausend Fällen werden also - statistisch - falsch entschieden. Solch eine Wahrscheinlichkeit brauchen wir auch im Dopingbereich. Es gilt zwar nicht die strafrechtliche Unschuldsvermutung, das ist klar, wir können aber Athleten nicht in Kohorten ungerechtfertigt wegen Dopings sperren.

Herbert Fischer-Solms: Ist der mittelbare Dopingbeweis durch den Fall Pechstein widerlegt oder hat er noch Zukunft?

Christoph Wüterich: Das ist das einzige, was überhaupt Zukunft hat! Der direkte Dopingnachweis geht seinem Ende zu. Es gibt unglaublich viele negative Proben - wenn es uns nicht bald gelingt, mit wissenschaftlicher Unterstützung ordentliche mittelbare Nachweise zu finden, wird es schwierig. Wenn wir den mittelbaren Dopingnachweis nicht verbessern, wird das ganze System in Frage gestellt.



Christoph Wüterich: "Entwicklung zur allzeitigen Verfügbarkeit des Athleten"


Herbert Fischer-Solms: Der direkte Dopingbeweis ist tot. Stimmen Sie zu, Herr Breucker?

Marius Breucker: Es kommt entscheidend darauf an, den mittelbaren Beweis zu verbessern. Das Verfahren Pechstein - wie auch andere Fälle, die auf Indizien fußen, etwa der Fall Contador - sind nicht bedeutsam für die Frage, ob es einen mittelbaren Beweis gibt oder nicht. Es gibt natürlich einen mittelbaren Beweis. Den gab es schon immer und den wird es immer geben. Die Frage ist nur, wie gut er ist, wie verlässlich. Und wir - das darf man sagen - als engagierte Anti-Dopingkämpfer, die viel für die WADA tätig sind, glauben, dass für die Legitimation des Anti-Dopingkampfes beides wichtig ist: Die Betrüger zu fassen und die Betrüger von den Unschuldigen zu unterscheiden. Es schadet dem Anti-Dopingkampf mehr, wenn man einen Unschuldigen verurteilt, als wenn man acht oder neun Schuldige laufen lässt.

Herbert Fischer-Solms: Rechtliche Fragen im Zusammenhang mit den Menschenrechten der Athleten gehen ja weit über die Dopingfrage hinaus, Herr Wüterich.

Christoph Wüterich: Das kann man wohl sagen. Wir haben gerade die Frage angesprochen, dass die Sportler nach dem Meldesystem gezwungen sind, für eine Stunde am Tag im Voraus verbindlich anzugeben, wo sie sich aufhalten und dies dann auch einzuhalten. Wenn man das einmal von der Ferne betrachtet, ist das in einer freien Gesellschaft wie der unseren schon bemerkenswert. Aber der Sport hat auch andere Sorgen und führt zu Auswüchsen, etwa in den Bereichen der körperlichen Unversehrtheit oder der Menschenwürde, von denen man eigentlich in unserer Gesellschaft dachte, dort könne nicht mehr viel passieren.

Herbert Fischer-Solms: Zum Beispiel die Minderjährigen im Sport?

Christoph Wüterich: Ich denke beispielsweise an Minderjährige und Jugendliche, ich denke aber auch an die zunehmenden Belastungen, denen alle Sportler ausgesetzt werden. Der körperliche Raubbau, der dort betrieben wird, ist nicht ohne Weiteres damit zu rechtfertigen, dass die Sportler besonders viel Geld verdienen. Erstens ist das nur teilweise der Fall. Und zweitens lassen sich Körperschäden nicht beliebig mit Geldbeträgen aufrechnen. Wir sehen im Sport eine Entwicklung der allzeitigen Verfügbarkeit der Athleten. Die Wettbewerbsprogramme werden immer dichter. Das erinnert an das 19. Jahrhundert, in dem die Leute in den Bergwerken arbeiteten und körperlich katastrophalen Raubbau betrieben. Dann setzte die Entwicklung des Arbeitnehmerschutzrechtes ein. Damit wurden Arbeitszeiten vorgegeben und gesundheitliche Rahmenbedingungen gesetzt. Wenn man den Sport unbefangen betrachtet, sieht man dort eine gegenläufige Entwicklung: Die Wettbewerbe nehmen immer mehr Zeit des Athleten in Anspruch. Das wird zwar teilweise gut entlohnt, aber die Entlohnung kann nicht alles rechtfertigen.

Herbert Fischer-Solms: Lassen Sie uns einige Probleme abarbeiten: Fußballprofis gelten ja als Arbeitnehmer, Herr Breucker. Immer wieder gibt es Schlagzeilen, wenn Fußballer vom Training ausgeschlossen werden und ihnen damit sozusagen die Arbeitsgrundlage entzogen wird. Der Trainer Felix Magath ist hierfür ein Bespiel, aber die Fälle gehen darüber weit hinaus.

Marius Breucker: Fußballer sind im juristischen Sinne Arbeitnehmer. Das gilt grundsätzlich auch für andere Mannschaftssportler. Für sie gilt das Arbeitsrecht und damit auch das Arbeitsschutzrecht. Es ist handgreiflich, dass die Regelungen des Arbeitsschutzrechts in vielen Fällen auf Berufssportler nicht passen. Nehmen Sie zum Beispiel eine Fußball-Welt- oder Europameisterschaft oder auch Champions-League-Einsätze: Dort sind die Fußballer nicht nur während des Spiels, sondern auch bei der An- oder Abreise, bei Taktikbesprechungen, bei der Spielvorbereitung und der anschließenden Analyse oder auch bei einer Rekonvaleszenz nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Es mag im Einzelnen umstritten sein, was zur Arbeitszeit gehört. Aber unzweifelhaft werden im Berufssport - denken Sie auch an eine Tour de France - die Arbeitszeitregeln und andere Arbeitsschutzgesetze nicht konsequent eingehalten.

Herbert Fischer-Solms: Wäre ein Tarifrecht im Sport eine Alternative - eine Fußball-Weltmeisterschaft nach Maßgabe der Gewerkschaft ver.di gemäß der Arbeitszeitordnung?

Marius Breucker: Der Sport ist international und hat spezifische Anforderungen. Man kann ihn nicht genau so regeln, wie "normale" Tätigkeiten von Arbeitnehmern im klassischen Industrie- oder Dienstleistungssektor. Die Forderung lautet daher nicht, den Sport in das Korsett des bestehenden Rechts zu zwingen. Vielmehr müsste man ein Recht des professionellen Sports schaffen, das den spezifischen Anforderungen Rechnung trägt. Ein passgenaues Recht könnte den Sport beflügeln. Hier kann und muss auf Dauer der Gesetzgeber aktiv werden. Das Arbeitsrecht eröffnet etwa die Möglichkeit, dass sich die Protagonisten selbst organisieren. Im Fußball gibt es schon Gewerkschaften, zum Beispiel die Vereinigung der Vertragsspieler (VDV). Was bislang noch fehlt, jedenfalls in Deutschland, sind Arbeitgebervereinigungen. Es wäre durchaus denkbar, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer organisieren und sich als Tarifparteien an einen Tisch setzen, um passgenaue Lösungen zu entwickeln. Damit könnten die Arbeitnehmer besser geschützt werden und die Arbeitgeber hätten Rechtssicherheit. Das Recht könnte als Katalysator wirken, um den professionellen Sport sachgerecht zu organisieren, ohne ihn mit Vorschriften zu überfrachten oder mit ungeeigneten Regelungen zu gängeln.

Herbert Fischer-Solms: Ist der Ausschluss eines Fußballers vom Training rechtmäßig?

Marius Breucker: Der Verein als Arbeitgeber hat ein Weisungsrecht. Er kann innerhalb der Grenzen des Arbeitsvertrages entscheiden, wo und wie er den Sportler einsetzen will. Das Weisungsrecht zeigt sich im Sport etwa darin, dass der Trainer entscheidet, wer aufgestellt wird und wer nicht. Es gibt keinen Anspruch auf einen Stammplatz, es sei denn, man lässt sich dies vertraglich zusichern, was ja vorkommen soll. Das Weisungsrecht gestattet es also, einen Fußballer auf die Bank zu setzen oder auch - je nach Inhalt des Arbeitsvertrages - in das Training der zweiten Mannschaft zu versetzen. Umgekehrt hat jeder Arbeitnehmer, auch der Fußballer, Eishockey- oder Basketballspieler, einen Beschäftigungsanspruch: Er hat einen Anspruch darauf, zu trainieren und in dem vom Trainer bestimmten Umfang am Wettspielbetrieb teilzunehmen. Ein vollständiger Ausschluss vom Training widerspricht diesem Beschäftigungsanspruch und ist rechtswidrig - immer vorbehaltlich der jeweiligen Vereinbarungen im Arbeitsvertrag.

Herbert Fischer-Solms: Ein anderes Stichwort, Herr Wüterich, ist die "Kronzeugenregelung". Es handelt sich um ein junges Instrument, das in Deutschland etwa im Falle von Doping im Radsport zur Anwendung kam. Ist es ein geeignetes Instrument?

Christoph Wüterich: Das zentrale Problem in der Dopingbekämpfung war - und ist bis zum heutigen Tage - die fehlende Kenntnis über interne Strukturen und die fehlenden Ermittlungsansätze. Aus dem Innenbereich drang nichts nach außen. Der Gesetzgeber schuf zwar in den 90iger Jahren die Tatbestände des Arzneimittelgesetzes. Die Staatsanwaltschaften hatten aber kaum Anknüpfungstatsachen, auf deren Basis sie hätten ermitteln können. Aus der meist festgefügten sozialen Gruppe um den Sportler herum waren kaum Informationen zu erhalten. Das Dopingproblem wurde drängender und erschütterte den Sport in seinen Grundfesten. In dieser Situation haben wir uns intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man in dieses abgeschlossene Netzwerk eindringen könnte. Aufgrund von Parallelen zu vergleichbaren Strukturen in anderen Bereichen haben wir dann eine Kronzeugenregelung im Sport vorgeschlagen. Dabei war uns bewusst, dass mit einer Kronzeugenregelung immer auch ein gewisses Gerechtigkeitsproblem verbunden ist: Ein Täter, der auspackt, wird nicht mehr "tat- und schuldangemessen" bestraft. Aus dem organisierten Sport wurde zunächst einmal widersprochen. Das war, so denke ich, eine Art Reflex der Verbände. Innovationen, zumal wenn sie von außen kommen, widersprechen die Sportverbände häufig, weil sie um ihre Autonomie fürchten. Unseres Erachtens wurde dabei aber verkannt, dass ohne Kronzeugenregelung Potentiale brach liegen, die dem Sport helfen können.

Ähnlich verhält es sich mit der Manipulations- und Korruptionsbekämpfung: Es ist handgreiflich, dass der Sport an diesem Thema leidet. Er greift es aber immer noch zu wenig aktiv auf. Auch hier wäre eine Kronzeugenregelung denkbar. Diese war in der Vergangenheit, etwa im Radsport, sehr erfolgreich. Durch die Aussagen der Kronzeugen haben wir viel über das System, seine Strukturen und Hintermänner erfahren. Daraus ergaben sich Ermittlungsansätze, Ansatzpunkte für Zielkontrolle und andere Möglichkeiten zur Effektivierung der Dopingbekämpfung.

Herbert Fischer-Solms: Als juristischer Laie und als Beobachter von außen hat man das Gefühl, dass die Kronzeugenregelung gleichsam nach einem kurzen "Boom" im Radsport stehen geblieben ist. Oder täuscht dieser Eindruck?



Marius Breucker: "Profisport braucht das Recht als effektiven Konfliktlösungsmechanismus"


Marius Breucker: Zur Kronzeugenregelung sind verschiedene Aspekte bedeutsam, die oft vermischt werden: Manche Zuschauer haben erwartet, wenn ein Kronzeuge auspackt, werden am nächsten Tag zehn oder zwölf Radsportler wenn nicht verhaftet, dann doch zumindest mit einem sportgerichtlichen Verfahren überzogen und gesperrt. Dieser "Knalleffekt" hat sich nicht eingestellt, worüber manche enttäuscht waren. Deswegen ist die Kronzeugenregelung aber sicher kein Misserfolg. Denn die getätigten Aussagen haben signifikante Erkenntnisse über Hintergründe und Strukturen gebracht, die zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen wurden. Einige Radsportler sind denn auch aufgrund von Kronzeugenaussagen später gesperrt worden. Da dies aber mit einiger zeitlicher Verzögerung erfolgte und oftmals die Kronzeugenaussagen nicht das alleinige Beweismittel zur Verurteilung waren, schlug sich dies in der öffentlichen Berichterstattung nicht immer nieder. Dies ist auch den sportrechtlichen Schiedsverfahren immanent, die ja in der Regel nicht öffentlich stattfinden.

Weiterhin darf man nicht das Regelungsinstrument mit den Inhalten der Kronzeugenaussagen verwechseln: Die Erkenntnisse aus einer Aussage hängen naturgemäß von der Bereitschaft des Kronzeugen ab, Ross und Reiter zu nennen. Wenn eine Aussage zwar über Strukturen und Hintergründe Aufschluss gibt, nicht aber konkrete Namen nennt, können daran in der Regel keine unmittelbaren Konsequenzen in Form von sportgerichtlichen Verfahren geknüpft werden. Das liegt dann aber nicht an der Regelung, sondern an den Kronzeugen.

Ein dritter Aspekt: Allein die Existenz einer Kronzeugenregelung führt zu Verunsicherung in den abgeschotteten Dopingkreisen. Auch wenn es ungeschriebene Gesetze des Schweigens geben mag, so kann man sich doch nicht mehr ganz sicher sein, ob nicht einer auspackt, um die eigene Haut zu retten. Diese Verunsicherung hat einen erheblichen präventiven Effekt. Dieser Effekt ist nur schwer messbar, da die verhinderten Dopingfälle naturgemäß in keiner Statistik auftauchen.

Herbert Fischer-Solms: Deutschland diskutiert seit längerem über neue strafrechtliche Regelungen. Brauchen wir eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes oder ein eigenständiges Anti-Dopinggesetz, Herr Breucker?

Marius Breucker: Der Sport leider unter einem Erkenntnis- und Ermittlungsdefizit: Man sieht in den Ländern, in denen staatliche Anti-Dopinggesetze existieren, dass dort mithilfe der polizeilichen Ermittlungsmethoden Erfolge erzielt werden. Wenn man diese Erfolge in Deutschland auch erzielen will, brauchen wir eine Regelung, die auch das Doping des Sportlers unter Strafe stellt. Derzeit ist man darauf angewiesen, dass man aus dem Umfeld des Sportlers Anhaltspunkte für eine Verabreichung oder für einen Handel mit Dopingmitteln erhält. Solche konkreten Anhaltspunkte hat man in den seltensten Fällen. Allein die positive Dopingprobe eines Sportlers ist derzeit kein Anhaltspunkt dafür, dass eine Straftat im Sinne des Arzneimittelgesetzes vorliegt. Sie liefert damit den Staatsanwaltschaften keinen Anfangsverdacht, der Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigen würde.

Herbert Fischer-Solms: Brauchen wir ein Anti-Dopinggesetz? Herr Wüterich, Sie waren Hockeypräsident zu Zeiten als die Deutschen sehr erfolgreich waren, unter anderem Weltmeister wurden. Brauchen wir das?

Christoph Wüterich: Ganz sicher, aus genau den Gründen, die der Kollege Marius Breucker ausgeführt hat. Im professionellen Sport verschaffen sich die Athleten durch Doping in unlauterer Weise klare ökonomische Vorteile. Das wird vom derzeitigen Strafrecht nicht erfasst und daran muss man arbeiten. Auch hier ist natürlich mit dem Widerstand der Verbände zu rechnen, die um die Autonomie des Sports fürchten und daher keine staatlichen Eingriffe wünschen. Zugleich merken die Verbände aber, dass sie mit der Sportgerichtsbarkeit und den dortigen Ermittlungsmöglichkeiten an ihre Grenzen stoßen. Es müssen daher neue Wege beschritten werden.

Marius Breucker: Ein staatliches Ani-Dopinggesetz würde die Verbände spürbar entlasten. Die nationalen und internationalen Spitzenverbände sind derzeit in einem Dilemma: Sie müssen einerseits ihre Athleten fördern und begleiten. Der Erfolg der Athleten ist Voraussetzung für eine entsprechende finanzielle Förderung. Zugleich sollen die Verbände in dem Moment, in dem auch nur der Verdacht eines Dopingverstoßes besteht, gleichsam die Robe des Staatsanwaltes anziehen und gegen den eigenen Sportler ermitteln. Der strahlende Sieger, der Vorzeigeathlet, der vielleicht dem Verband gerade noch Fördergelder beschert hat, soll nunmehr überprüft und gegebenenfalls angeklagt und verurteilt werden. So verlangen es die geltenden Regeln. Damit sind die Verbände - auch wenn viele sehr professionell organisiert sind - strukturell überfordert. Um dieses Dilemma aufzulösen, sollte man die Ermittlungen bei einem Dopingverdacht und das anschließende Verfahren einer unabhängigen Institution überlassen, z. B. der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA). Die Verbände könnten dann wieder ihre eigentliche Funktion wahrnehmen, nämlich ihre Sportart und ihre Sportler zu fördern und zu begleiten, was natürlich Aufklärung und Maßnahmen im Anti-Dopingkampf nicht ausschließt. Wir brauchen also sportrechtlich eine Arbeitsteilung zwischen Verbänden und NADA sowie dem Deutschen Sportschiedsgericht als unabhängiger Instanz. Abgerundet würde dieses System durch passgenaue Straftatbestände mit entsprechenden Ermittlungsmöglichkeiten für kompetente Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Wenn man die jeweiligen Aufgaben deutlich konturiert, würde dies die Autonomie des Sports nicht schwächen, sondern stärken.

Herbert Fischer-Solms: Das waren die Stuttgarter Sportrechtler Christoph Wüterich und Marius Breucker im Sportgespräch im Deutschlandfunk.